… ist in Tamil Nadu ein Phänomen, das ich in den letzten
Wochen sehr intensiv kennengelernt habe.
Während draußen heftige Regenfälle über Thiruvallur
niederprasselten, gefolgt von Überflutungen, die es oft unmöglich machten, das
Haus zu verlassen, saß meine Familie vor dem Fernseher – 24 Stunden am Tag.
Über den Bildschirm flimmerten alte Schwarzweißfilme, Romanzen, Serien und
Casting Shows. Grund genug, das tamilische Fernsehen einmal genauer unter die
Lupe zu nehmen.
Jeden Abend wird um etwa sieben Uhr auf den TV-Sender Vijay
geschaltet. Dort läuft einen Monat lang die Geschichte der Mahabharata, eines
der Epen des Hinduismus, aufgebaut als Serie. Es geht um den großen Krieg
zwischen Gut und Böse vor Anbruch eines neuen Zeitalters. Die Stimmung ist
entsprechend ernst. Hält ein König eine halbstündige Rede, wird diese in ihrer
vollen Länge mit Nachdruck ausgestrahlt. Einstündige Trauer nach Tod eines
tapferen Helden ist ebenfalls nicht unüblich.
Im Anschluss an die Mahabharata läuft, wie als
Kontrastprogramm, Super Singer 5, eine Casting Show, die stark an ähnliche
Formate in Deutschland erinnert. Alle Lieder sind bekannt, sodass mindestens
ein Familienmitglied lautstark mitsingt. In den Pausen diskutiert man über den
Sari der Moderatorin oder das Aussehen eines Teilnehmers. Der Vorteil dieser
Sendung: Es sind nahezu keine Tamil Kenntnisse notwendig um sie zu verstehen.
Als sie einen Abend aussetzte, habe ich mich doch tatsächlich dabei erwischt,
sie zu vermissen.
Der Rest des Tages wird gefüllt von Filmen, Serien und
Musiksendungen, zwischen denen lebhaft hin- und her gezappt wird. Versammelt
sich gerade noch eine Großfamilie schluchzend um das Krankenhausbett der
Mutter, streitet im nächsten Moment eine Tochter mit ihrem Vater unter Tränen über
ihre arrangierte Hochzeit. Frage ich meine Gastschwester nach der Handlung, lautet
die Antwort stets ähnlich: „Ein Junge und ein Mädchen verlieben sich, aber ihre
Familien verbieten es ihnen, zusammen zu sein. Schließlich heiraten sie doch.“ Schnief!
(Ein Cousin, der uns eine Zeit lang besuchte, führte Kricket
in das tägliche Fernsehprogramm ein. Ich hoffe, er kommt wieder!)
Tatsächlich jedoch haben die tamilischen Sendungen mehr
Einfluss auf mich, als ich mir anfangs eingestehen wollte. Der Grund, warum ich
begonnen habe, die 2000 seitige Mahabharata zu lesen, ist simpel: Ich wollte
endlich das Fernsehprogramm verstehen.