Alles, was wir sind, ist das Ergebnis dessen, was wir dachten
Buddha

Montag, 27. Mai 2019

Pappu & Chaiwalla

Am 24.5. gab die indische Wahlkommission das Ergebnis der Wahl zum indischen Unterhaus, der Lok Sabha, bekannt. Premierminister Narendra Modi’s Partei Bharatiya Janata Party (BJP) gewann 292 von 543 Sitzen und ist damit in der Lage ohne Koalition regieren zu können. Grund genug, um Indiens politisches System einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Indien hat die zweitlängste Verfassung der Welt, übertroffen nur vom Staate Alabama. Während das deutsche Grundgesetz gut in der Hosentasche bei sich zu tragen ist, sieht man sich in Indien mit einem drei Kilo schweren Wälzer konfrontiert. Der vielleicht wichtigste Teil der indischen Verfassung ist die Präambel. Sie besagt das Indien ein unabhängiger, demokratisch-sozialistischer und säkularer Staat ist. Hervorzuheben im aktuellen Kontext ist hier das Wort säkular, das in Indien bedeutet, dass keine Religion vom Staat gegenüber einer anderen bevorzugt werden darf. Die Präambel kann zwar vom Parlament geändert werden, jedoch nur solange die Grundideen der Verfassung bestehen bleiben. Es wäre damit illegal, ein Gesetz zum Vorteil der Hindumehrheit durchzusetzen, sei es der Entzug des Wahlrechts für Muslime oder ein Verbot des Verzehrs von Rindfleisch. 

Indien ist ein Föderaler Staat mit einem zweikammrigem Parlament auf Staatsebene: Das Oberhaus Rajya Sabha als Vetretung der Bundesstaaten und das direkt gewählte Unterhaus Lok Sabha, das vergleichsweise mehr Macht besitzt. Der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion in der Lok Sabha wird in der Regel zum Premierminister gewählt. Während das eigentliche Staatsoberhaupt Indiens der Präsident, momentan ein Herr des Namens Ram Nath Kovind, ist, übt der Premierminister alle tatsächlichen Regierungsfunktionen aus. Die Wahl zur Lok Sabha ist daher entscheidend für das politische Klima des Landes in den kommenden  fünf Jahren.

Aufgrund der seiner hohen Bevölkerungszahl (ca. 900 mio Wahlberechtigte)  und teilweise schwer erreichbaren Gebiete ist es Indien logistisch gesehen nicht möglich eine Parlamentswahl an einem Tag durchzuführen. Die jetzige Wahl begann am 11. April als die erste von insgesamt sieben Gruppen von Wahlkreisen abstimmte. Die letzte Phase gab am 19. Mai ihre Stimme ab. Gewählt wird nicht in Form eines Stimmzettels sondern mittels einer elektronischen Wahlmaschine (EVM). Diese enthält eine Liste der Kandidaten  und ihren jeweiligen Parteisymbolen mit einem Knopf neben jedem Namen. Es ist daher nicht zwingend erforderlich, Lesen oder Schreiben zu können um zur Wahl zu gehen. Wer gewählt hat, bekommt eine Kennzeichnung am rechten Zeigefinger mit nicht abwaschbarer Tinte. Am Entscheidungstag berechnet die Software der EVMs das Ergebnis und druckt zusätzlich eine Liste aller abgegebenen Stimmen auf Papier das stichprobenartig mit dem elektronischen Ergebnis abgeglichen werden muss. Obwohl es bei jeder Wahl Vorwürfe gibt, dass die Software der EVMs durch Hacker manipuliert werden könne, ist die indische Wahlmethode international anerkannt.

Die jetzige Wahl hatte zwei Hauptkandidaten, die als Premierminister in Frage kamen: Rahul Gandhi, Präsident des Indischen Nationalkongress, und Narendra Modi, Mitglied der BJP. Rahul Gandhi ist Teil des Gandhi Clans und Urenkel von Indiens erstem Premier Jawaharlal Nehru. Aufgrund seiner Abstammung, die ihm eine politische Karriere quasi in die Wiege legte, wird er von der indischen Öffentlichkeit gerne als „Pappu“ (Muttersöhnchen) bezeichnet. Narendra Modi dagegen kommt als Sohn eines Tee Stand Besitzers  aus eher einfachen Verhältnissen. Während er anfangs in Geschäft seines Vaters mithalf, trat er bald der rechtsnationalen Organisation RSS (Rashtriya Swayamsevak Sangh) bei und machte politische Karriere. Aufgrund seines familiären Hintergrunds gab ihm die indische Öffentlichkeit den Spitznamen Chaiwalla (Teeverkäufer). Darüber hinaus hatten lokale Parteien wie die Tamilische DMK oder Andhra’s YDP Einfluss auf die Wahlen da sie als potenzielle starke Koalitionspartner in Frage kämen.