…ist tamilisch für Mauer. Eine solche scheint in Indien
stets zwischen den Geschlechtern zu stehen.
Wer in den letzten Jahren die Nachrichten verfolgt hat,
kennt den Fall der vergewaltigten Studentin aus Neu Delhi, der ein trauriges
Licht auf die Situation von Indiens Frauen warf. Was für eine Realität hinter
diesen Schlagzeilen steht, habe ich seit
meiner Ankunft oft genug erfahren. Ich möchte hier drei Geschichten erzählen,
die einer Inderin, die eines Inders und schließlich meine eigene, um diesem
hier so schwierigen Thema etwas näher zu kommen.
Meine Gastschwester will nicht heiraten. Ihre Familie sucht
in der Bekanntschaft, wie auf Heiratsportalen im Internet nach dem richtigen
Mann für sie, dem Mann, dessen Horoskop mit ihrem zusammenpasst, der einen
guten Job hat und viel Geld verdient und obendrein auch noch gut aussieht. Dem
Mann, den sie vor der Hochzeit nur ein paar Male treffen wird, der ihr
vielleicht ihre gesamte Freiheit nehmen wird und den sie vielleicht nie lieben
wird, der eventuell aber auch der richtige Partner fürs Leben sein könnte. Sie
weiß es nicht, kann es nicht wissen. Daher kämpft sie wie eine Löwin darum,
diese Ehe nicht eingehen zu müssen. Die Liebe in der arrangierten Ehe scheint
ein Traum zu sein, der schon seit langem aufgegeben wurde.
Mein indischer Mitarbeiter hat mehr Glück. Seine Freundin
lebt in Bangalore, er liebt sie und trifft sie wann immer er kann. Das Paar
plant zu heiraten, mit dem Segen beider Familien, obwohl sie verschiedenen
Religionen angehören. Er ist stolz auf seine Freundin und erzählt gerne von
ihr, wie auch von den Partys, die er jedes Wochenende besucht und auf denen
getanzt wird. Umso erstaunter war ich über seine plötzliche Verlegenheit, als
ihn eine spanische Freiwillige aus Spaß zum Tanz aufforderte. „Actually, I never danced with a girl“,
erzählte er mir später. “I didn´t tell you that at our parties, there is only
boys.”
Ich als Europäerin habe bei dem Thema eine wieder andere
Rolle. Auf meinem Weg durch Thiruvallur schreien mir täglich junge Inder von
ihren Motorrädern aus anzügliche Sprüche hinterher. Es kann passieren, dass in dicht gedrängten Mengen,
etwa in überfüllten Bussen, plötzlich eine Hand auftaucht, deren Besitzer man
nicht zuordnen kann und von der man an Stellen berührt wird, an denen man nicht
berührt werden möchte. In Chennai stelle
ich manchmal fest, dass ich von unbekannten Männern verfolgt werde, sie stehen
am Bahnsteig neben mir, laufen mit mir mit und starren mich an. Ich bin sehr
dankbar für die Existenz der Ladies Compartments in den Regionalzügen, aber es
ist traurig, dass sie nötig sind. Die Situation verändert einen, sie führt zu
einem Grundmisstrauen gegenüber jedem. Zu entscheiden, wann dieses tatsächlich angebracht ist und wann nicht,
ist nicht immer möglich. So sehr ich Indien liebe, der Umgang der Geschlechter
miteinander ist die größte Herausforderung, der ich mich hier stellen muss.
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