Alles, was wir sind, ist das Ergebnis dessen, was wir dachten
Buddha

Freitag, 7. Juni 2019

Ramzan

… ist der islamische Fastenmonat, der von Muslimen weltweit befolgt wird. 29-30 Tage lang verzichten die Gläubigen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang  auf Nahrung, Wasser, Sex oder  Handlungen, die als moralisch fragwürdig angesehen werden, wie etwa Schimpfwörter. Ramzan ist eine Zeit des Gebets und der Besinnung, in der besonderen Wert darauf gelegt wird, dass selbst die Ärmsten Almosen erhalten und so an der Gemeinschaft teilhaben können.

Ramadan ist der Monat, in dem Prophet Mohammed die erste Sure des Koran auf dem Berg Nur in Mecca empfangen hat. Die Nacht, in der dies geschah ist bekannt als Laylat-al-Qadr (The Night of Power). Während Unstimmigkeit herrscht, wann genau diese stattfand, ist man sich einig, dass sie in die letzten zehn Tage des Monat Ramzan fällt. Nach dem generellen Glauben werden in dieser Nacht alle Sünden vergeben und die Menschen erhalten Gottes Segen.  Ramzan ist daher auch ein Monat des Neuanfangs. Eine muslimische Freundin von mir drückte ihre Sichtweise auf Ramadan so aus:


In Bangalore macht sich Ramzan hauptsächlich in ausgewählten Stadtvierteln bemerkbar, in denen mehrheitlich Muslime angesiedelt sind. Während der Rest der Stadt die Gehsteige hochklappt, erwacht Frazer Town um die Hajee Sir Ismail Sait Masjid nach dem letzten Abendgebet zum Leben.  Familien begeben sich zum Fastenbrechen (Iftar) nach draußen.  Die Straße ist gesäumt mit Essensständen, die Kabab, Biriyani und den Eintopf Haleem verkaufen. Wer genug gegessen hat, erfreut sich an einem weiten Angebot an Tee und Süßigkeiten. Für die Hungernden ist das Essen an vielen Ständen umsonst.

Ich entdeckte das öffentliche Iftar in Frazer Town zum ersten Mal durch Zufall, als ich eines Abends auf der Suche nach einem Koreanischen Restaurant durch die Straße fuhr. Zwar waren mir ähnliche Events in Koramangala und Jayanagar im Süden der Stadt bekannt, jedoch waren diese wesentlich kleiner und schlossen vergleichsweise früh ihre Türen. Ich ließ meine Pläne von Koreanischem Essen sein und begann stattdessen das Essen der verschiedenen Stände zu probieren. Zwei Kababs später war ich dick satt, als mir ein Tee Geschäft auffiel, das Tandoori Chai in glühend heißen Tontöpfen sowie Sulaimani, einen Zitronentee mit Gewürzen, der ursprünglich aus Kerala stammt, zubereitete. Diesen Tee Stand sollte ich im Laufe des Monats noch öfter aufsuchen.
Auch in Deutschland laden Städte inzwischen oft zum öffentlichen Iftar ein. Ich finde dies eine hervorragende Idee, zum einen weil viele dieser Events zur Hilfe von Flüchtlingen ausgerichtet sind und eine offene Wilkommenskultur propagieren und zum anderen weil sie interkulturellen Dialog in der Gesellschaft fördern.




Ramzan endet mit dem Fest Eid ul-Fitr, auch bekannt als das kleine Eid gegenüber Eid ul-Adha, das im August stattfindet.  Es beginnt, wenn der neue Mond am Himmel gesehen wird. Je nach Region wird das Fest auf unterschiedliche Weise begangen. Während sich meine muslimische Freundin in Mauritius jährlich darüber beschwert, dass sie shoppen gehen muss um ein neues Kleid für Eid zu finden, dass von ihrer Mutter als würdig angesehen wird, hält meine Zimmernachbarin bereits mehrere Outfits inklusive Schmuck bereit, die sie zum Treffen mit ihrer ganzen  Familie in Kalkutta anziehen wird. Eine weitere Freundin mit türkischen Wurzeln geht lieber mit Freunden aus zum Essen und danach ins Kino, jedoch auch top gestylt. Das schönste Eid Outfit, das mir an dem Tag begegnete, war jedoch eine schimmernd rote Samt Burqa, die jedes Abendkleid in den Schatten gestellt hätte. Ich war nicht die einzige, die sich nach der Dame umdrehte.

Nach Ende des Festes vermisse ich jetzt schon die fröhliche offene Atmosphäre des Iftar. Ich werde wohl bis nächstes Jahr warten müssen, bis ich sie wieder genießen kann. In diesem Sinne wünsche ich allen Muslimen dieser Welt ein leicht verspätetes Eid Mubarak.








Montag, 27. Mai 2019

Pappu & Chaiwalla

Am 24.5. gab die indische Wahlkommission das Ergebnis der Wahl zum indischen Unterhaus, der Lok Sabha, bekannt. Premierminister Narendra Modi’s Partei Bharatiya Janata Party (BJP) gewann 292 von 543 Sitzen und ist damit in der Lage ohne Koalition regieren zu können. Grund genug, um Indiens politisches System einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Indien hat die zweitlängste Verfassung der Welt, übertroffen nur vom Staate Alabama. Während das deutsche Grundgesetz gut in der Hosentasche bei sich zu tragen ist, sieht man sich in Indien mit einem drei Kilo schweren Wälzer konfrontiert. Der vielleicht wichtigste Teil der indischen Verfassung ist die Präambel. Sie besagt das Indien ein unabhängiger, demokratisch-sozialistischer und säkularer Staat ist. Hervorzuheben im aktuellen Kontext ist hier das Wort säkular, das in Indien bedeutet, dass keine Religion vom Staat gegenüber einer anderen bevorzugt werden darf. Die Präambel kann zwar vom Parlament geändert werden, jedoch nur solange die Grundideen der Verfassung bestehen bleiben. Es wäre damit illegal, ein Gesetz zum Vorteil der Hindumehrheit durchzusetzen, sei es der Entzug des Wahlrechts für Muslime oder ein Verbot des Verzehrs von Rindfleisch. 

Indien ist ein Föderaler Staat mit einem zweikammrigem Parlament auf Staatsebene: Das Oberhaus Rajya Sabha als Vetretung der Bundesstaaten und das direkt gewählte Unterhaus Lok Sabha, das vergleichsweise mehr Macht besitzt. Der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion in der Lok Sabha wird in der Regel zum Premierminister gewählt. Während das eigentliche Staatsoberhaupt Indiens der Präsident, momentan ein Herr des Namens Ram Nath Kovind, ist, übt der Premierminister alle tatsächlichen Regierungsfunktionen aus. Die Wahl zur Lok Sabha ist daher entscheidend für das politische Klima des Landes in den kommenden  fünf Jahren.

Aufgrund der seiner hohen Bevölkerungszahl (ca. 900 mio Wahlberechtigte)  und teilweise schwer erreichbaren Gebiete ist es Indien logistisch gesehen nicht möglich eine Parlamentswahl an einem Tag durchzuführen. Die jetzige Wahl begann am 11. April als die erste von insgesamt sieben Gruppen von Wahlkreisen abstimmte. Die letzte Phase gab am 19. Mai ihre Stimme ab. Gewählt wird nicht in Form eines Stimmzettels sondern mittels einer elektronischen Wahlmaschine (EVM). Diese enthält eine Liste der Kandidaten  und ihren jeweiligen Parteisymbolen mit einem Knopf neben jedem Namen. Es ist daher nicht zwingend erforderlich, Lesen oder Schreiben zu können um zur Wahl zu gehen. Wer gewählt hat, bekommt eine Kennzeichnung am rechten Zeigefinger mit nicht abwaschbarer Tinte. Am Entscheidungstag berechnet die Software der EVMs das Ergebnis und druckt zusätzlich eine Liste aller abgegebenen Stimmen auf Papier das stichprobenartig mit dem elektronischen Ergebnis abgeglichen werden muss. Obwohl es bei jeder Wahl Vorwürfe gibt, dass die Software der EVMs durch Hacker manipuliert werden könne, ist die indische Wahlmethode international anerkannt.

Die jetzige Wahl hatte zwei Hauptkandidaten, die als Premierminister in Frage kamen: Rahul Gandhi, Präsident des Indischen Nationalkongress, und Narendra Modi, Mitglied der BJP. Rahul Gandhi ist Teil des Gandhi Clans und Urenkel von Indiens erstem Premier Jawaharlal Nehru. Aufgrund seiner Abstammung, die ihm eine politische Karriere quasi in die Wiege legte, wird er von der indischen Öffentlichkeit gerne als „Pappu“ (Muttersöhnchen) bezeichnet. Narendra Modi dagegen kommt als Sohn eines Tee Stand Besitzers  aus eher einfachen Verhältnissen. Während er anfangs in Geschäft seines Vaters mithalf, trat er bald der rechtsnationalen Organisation RSS (Rashtriya Swayamsevak Sangh) bei und machte politische Karriere. Aufgrund seines familiären Hintergrunds gab ihm die indische Öffentlichkeit den Spitznamen Chaiwalla (Teeverkäufer). Darüber hinaus hatten lokale Parteien wie die Tamilische DMK oder Andhra’s YDP Einfluss auf die Wahlen da sie als potenzielle starke Koalitionspartner in Frage kämen.  

Freitag, 8. Februar 2019

Tripping with Shiva

Taxi Apps wie Ola und Uber sind in allen Indischen Städten weit verbreitet. Wer heutzutage eine Autorickshaw, ein Taxi, eine Limousine oder ein Motorradtaxi will, konsultiert eine der beiden Apps und erhält mit etwas Glück nach wenigen Minuten die Bestätigung für eine Fahrt.
Nun ist es unter Hindus durchaus üblich, Kinder nach Göttern im hinduistischen Kosmos zu benennen. Shiva, Vishnu oder Lakshmi sind gängige Namen in jeder Stadt.  Im Kontext von Ola und Uber jedoch lösen solche Namen oft urkomische Situationen aus. Hier eine kleine Einführung in die hinduistische Mythologie:
Vor einiger Zeit machte ein Screenshot die Runde in den sozialen Medien.  Er zeigte die Nutzeroberfläche von Ola, in der der Name des Fahrers angekündigt wurde: „Yamaraja is on the way to your location.“ Die Benutzerin cancelte die Fahrt erschrocken.
Yamaraja ist der hinduistische Totengott. Dargestellt als Mann mit feuerroten Augen und langen Eckzähnen empfängt er Seelen im Jenseits. Es existieren verschiedene Interpretationen seiner Rolle. Für manche  ist er der erste Sterbliche auf der Welt, der auf diese Weise zum Herrscher über das Jenseits wurde. Für andere ist er der Gott der Gerechtigkeit, der als Richter den Weg weist. Wieder andere sehen ihn als eine Personifikation der Zeit. In jedem Fall ein Grund zur Sorge, sollte Yama auf dem Weg sein.
Es sei denn natürlich, es steigt unterwegs Shiva zu. Shiva ist einer der drei Hauptgötter des Hinduismus. Zusammen mit Brahma und Vishnu bildet er die Dreifaltigkeit bestehend aus Erschaffung, Bewahrung und Zerstörung. Shiva ist das kosmische Chaos selbst. In seiner Darstellung als Nataraja (ebenfalls ein gängiger Name) oder kosmischer Tänzer symbolisiert er die Dynamik des Universums. Gegen Shiva hat selbst Yamaraja keine Chance.
Wenn der Zufall es so will, begegnet man im Sammeltaxi Lakshmi, der Göttin des Glücks. Thronend auf einer Lotusblüte schüttet sie mit beiden Händen Gold aus. Geschäftsleute verehren sie und ihr Bild ziert den Altar vieler Läden, vom zweistöckigen Juwelierkomplex zum Copyshop an der Ecke. Mit Lakshmi  im Nebensitz kann nichts mehr schief gehen.

Manchmal passiert es jedoch, dass Vishnu und Ganesh sich gezwungen sehen, zu canceln. Der App Nutzer steht dann da, von allen Göttern verlassen und hat keine andere Wahl als auf andere Transportmittel zurückzugreifen. Besonders während der Rush Hour ist es schwierig, ein Ola oder Uber  zu ergattern. Solche Fälle sind eben unvermeidbar wenn der ganze Kosmos Taxi fährt.