Alles, was wir sind, ist das Ergebnis dessen, was wir dachten
Buddha

Donnerstag, 24. September 2015

Tourist


…ist ein Wort, das ich absichtlich nicht übersetze, eben weil es eine gewisse Fremdheit ausdrückt. Laut Lexikon ist ein Tourist „jemand, der als Urlauber ein Land besucht“.

Zuweilen habe ich den Eindruck, dass das Wort auch ein Schimpfwort ist. Es beinhaltet den stillen Vorwurf, nichts als ein oberflächlicher Beobachter, oder schlimmer, ein Ignorant, dem allein der eigene Spaß wichtig ist, zu sein. Tourismus hat immer zwei Seiten. Er kann einem Ort zu Reichtum und Berühmtheit verhelfen, er kann ihn jedoch auch zerstören und so verändern, dass er nichts mehr mit dem Land in dem er liegt, zu tun hat.

Ich habe vor einiger Zeit einen Ort namens Mahabalipuram kennengelernt. Er ist sehr pittoresk an der Ostküste Südindiens gelegen und besitzt einen kilometerlangen Traumstrand. Läuft man durch die Straßen des Ortskerns, begegnet man einer Menge weißer Europäer, manche in Shorts und Top, andere in einer Art gespensterartigem Gewand, das leicht an Indien erinnert (in dem ich aber noch nie einen Inder habe herumlaufen sehen). Zu beiden Straßenseiten findet man die entsprechenden Läden, in denen ein solches Gewand, oder wahlweise auch Steinelefanten oder Sonnenhüte, zu haben sind. Ich frage mich, wie viele dieser Menschen nach ihrem Aufenthalt der Meinung sind, Indien gesehen zu haben. Oder, wie viele der Besucher, enttäuscht von den Touristenmassen, weiterziehen um einen anderen, „originalen“ Platz zu finden. Denn danach scheint der westliche Tourist  häufig zu suchen: „dem wirklichen Indien“. Auch ich habe gehofft, mit meinem Aufenthalt hier dieses Ziel zu erreichen und muss nun zugeben, dass ich damit genauso scheitern werde, wie der europäische Durchschnittsurlauber, eben weil es unmöglich zu bestimmen ist, was „indisch“ ist und was nicht. Ich sage das als Deutsche, die sich nicht sicher ist, „das wirkliche Deutschland“ zu kennen.

Ich möchte hier von einem anderen Ort erzählen, dem in den Nilgiri Mountains gelegenen Ooty. Anders als in Mahabalipuram tummeln sich hier vor allem indische Touristen. Die „Suche nach dem Original“ scheint ihnen fremd zu sein. Stattdessen werden an den wichtigen Sehenswürdigkeiten Selfies mit der ganzen Familie gemacht, die stolz ihre am Touristenstand am Straßenrand gekauften Wollmützen präsentiert. Danach kauft man sich eventuell noch Popcorn oder Zuckerwatte und fährt zum nächsten Punkt für das nächste Selfie (gerne auch mit einem Europäer, wenn man einen trifft). Indische wie westliche Touristen verändern die Ziele, die sie frequentieren, weshalb man sie gerne mit gemischten Gefühlen betrachtet.

Meiner Ansicht nach gibt es jedoch eine Eigenschaft, die oft als touristisch gilt, die aber im Alltag nicht verloren gehen sollte: Die stetige Neugier auf bisher Unbekanntes, die dazu führt, dass man mit offenen Augen durch die Welt läuft. So sehr man manchmal über die Touristen schimpft, so viel kann man von ihnen lernen.

Donnerstag, 17. September 2015

Ganesh Chaturthi


… wurde heute von einem Großteil der Inder gefeiert. Es ist das Fest des elefantenköpfigen Gottes Ganesha, dem Sohn von Shiva und Parvati. In Thiruvallur finden heute Prozessionen und Feuerwerk statt und überall in den Straßen hört man Musik.

Meine Familie besorgte heute früh eine aus Ton geformte Statue Ganeshas, die daraufhin sorgsam mit Gold und Blumenketten geschmückt wurde. Währenddessen bereitete meine Gastmutter ein sehr aufwendiges Essen vor, das unter anderem aus mit Sesam gefüllten weißen Teigtaschen bestand, die nur für diesen Anlass vorbereitet werden. Wie die meisten Götter isst Ganesha gerne Süßigkeiten.

Die Speisen wurden schließlich auf einem Bananenblatt vor dem Altar aufgebaut. Der wichtigste Teil des Festes bestand schließlich aus den Gebeten, die meine Gastschwestern aus einem kleinen Büchlein vorlasen. Sie dienen dazu, Ganesha für seine Taten zu danken. Während den Gebeten wurden eine Glocke geläutet und Lampen angezündet.

Schließlich aßen auch wir alle zusammen auf Bananenblättern. Viele der Gerichte werden nur sehr selten zubereitet und sind etwas Besonderes. Als wir so beim Essen saßen, warf meine Gastschwester einen Blick auf den Altar mit der Statue, betrachtete die Menge an Früchten, Teigtaschen und Süßigkeiten, die wir dort aufgebaut hatten und meinte: „Ganesha must be really full now!“ Aber schließlich ist er ja auch ein Elefant…

Dienstag, 8. September 2015

Vanakkam Chennai


…bedeutet in etwa „Hallo Chennai“ und ist gleichzeitig der Titel eines tamilischen Comedy Films, dessen Handlung zum einem großen Teil von Missverständnissen und Chaos geprägt ist, in dem aber die beiden Hauptcharaktere letztendlich zueinander finden. Im übertragenen Sinne charakterisiert dies meine Beziehung zu der Stadt sehr gut.

Ich habe Chennai vor ein paar Tagen kennengelernt und es war wie im Film Liebe auf den zweiten Blick. Als ich in Chennai Central aus dem Zug stieg, war mein erster Gedanke: CHAOS! Ich stand alleine mitten in dieser Riesenstadt, wollte zum Government Museum in einem anderen Viertel und hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich dorthin gelangen sollte. Der Weg, der im Reiseführer den Eindruck erweckt hatte, er sei zu Fuß gut zu bewältigen, stellte sich relativ schnell als Schnellstraße ohne Gehweg heraus. Als ich schließlich in einer völlig überteuerten Autorickshaw am Museum ankam, zeigte mir die Stadt zum ersten Mal eine ihrer guten Seiten: Die dortige Sammlung  teilweise über tausend Jahre alter hinduistischer Skulpturen ist hervorragend.

Das Glück hielt nicht an. Auf dem Rückweg saß ich nach den widersprüchlichen Angaben fünf verschiedener Menschen, welche Bahnverbindung richtige sei, im falschen Bahnhof, was die Dauer der Rückfahrt  ungefähr verdoppelte.

Am nächsten Tag beschloss ich dennoch, Chennai eine zweite Chance zu geben. Im Zug mir gegenüber saß ein junges Mädchen. Sie erzählte mir von ihrem Bruder, der in Schweden studiert, zeigte mir mit ihrem Handy Fotos von jedem Zimmer seines schwedischen Hauses und brachte mich auf meine Frage hin direkt zum richtigen Bus nach Marina Beach, den ich ohne ihre Hilfe niemals gefunden hätte. Nach einem ausgiebigen Strandspaziergang und einem Treffen mit Freunden aus Deutschland in einer der klimatisierten Malls der Stadt machte ich mich glücklich auf den Weg nach Hause, als ich mich plötzlich alleine in der Dunkelheit an einem mir unbekannten Ort wiederfand. Dies war eine Situation, die ich vom Vortag kannte und die nichts Gutes verhieß…

„Excuse me madam, where are you going?“ Meine Rettung war nur wenig älter als ich, arbeitete bei Mercedes Benz und musste in dieselbe Richtung. Sie brachte mich zum Zug und passte auf, dass ich zu meiner Sicherheit im Ladies Coach reiste.  Ich habe in diesen zwei Tagen etwas gelernt: In Chennai braucht man vor allem eines: Freunde!

Dienstag, 1. September 2015

Karpittal Kattral


…bedeutet so viel wie „Lehren und Lernen“. Dieser Ausdruck eignet sich hervorragend um die Arbeit in meinem Projekt zu beschreiben.

Ich unterstütze während meiner Zeit in Indien das Model Village Project, das in den Dörfern der Umgebung von Chennai aktiv ist. Meine Aufgabe ist es, in den umliegenden Schulen Sessions im Bereich „Gesundheit und Ernährung“ zu geben. Ich habe einmal ein Sprichwort gelesen, das lautete: „Lehren ist die höchste Form des Verstehens“. Wie viel Wahrheit darin steckt, habe ich in den letzten Wochen festgestellt, denn aus jeder Stunde, die ich vorbereite, lernen die Schüler und ich gleichermaßen.

Da wäre natürlich einmal der Inhalt der Präsentationen. Wie wäscht man sich richtig die Hände? Woraus besteht eine gesunde Ernährung? Was ist Recycling und warum macht Verschmutzung durch Müll krank? Ich hoffe natürlich, dass die Kinder davon etwas in Erinnerung behalten. Auch ich selbst erfahre dabei immer wieder Neues. Wie verfährt man in meiner Gegend mit Abfall? Was unternimmt man  hier gegen Fieber? Welche lokalen Lebensmittel sind gesund, bzw. was essen die Kinder für Süßigkeiten? All das muss ich berücksichtigen, wenn ich über diese Themen sprechen will.

Neben der inhaltlichen Seite gibt es dann noch die hintergründigen Dinge. Ich habe vor ein paar Monaten mein Abitur gemacht und noch nie in einer Klasse unterrichtet. Das erste, das ich lernen musste war, trotz Sprachbarriere die Aufmerksamkeit der Schüler zu gewinnen und sie in das Thema einzubeziehen. Im indischen Schulsystem basiert ein Großteil des Unterrichts auf Auswendiglernen, sodass Aktivitäten eher selten sind. Welche Spiele funktionieren und welche Themen interessant sind, ist eine Frage, die zu beantworten mich noch Zeit kosten wird.

Einer meiner indischen Mitarbeiter hat den Traum, einmal eine Schule zu errichten, in der die Schüler zu selbstständigem Denken erzogen werden und sich durch praktische Arbeit den Themen nähern sollen. Er hofft, dass eine solche Erziehung im Gegensatz zu den heute in den Schulen praktizierten Lehrmethoden den Kindern ein glücklicheres Leben ermöglicht. Ich wünsche ihm viel Erfolg.