Alles, was wir sind, ist das Ergebnis dessen, was wir dachten
Buddha

Mittwoch, 3. Oktober 2018

Rainbow



Am 6. September dieses Jahres verkuendete der Indische Supreme Court, dass homosexueller Geschlechtsverkehr in Indien ab sofort legal sei. Das Urteil hat historische Bedeutung und bringt Hoffnung fuer Indiens LGBTQA+ community, die seit Jahrzehnten gegen die Kriminalisierung von Homosexualitaet kaempft.
Die Entscheidung des Supreme Court steht am Ende einer Reihe verschiedener Prozesse im Indischen Rechtssystem. Seit Kolonialzeiten enthaelt das Indische Strafgesetzbuch section 377, die homosexuellen Geschlechtsverkehr as "abnorme Geschlechtshandlung" unter Strafe stellt. Waehrend verschiedene NGOs seit den Neunziger Jahren gegen den Paragraphen ankaempften, kam das erste signifikante Urteil zu dem Thema vom Landesgericht in Delhi, das in 2009 gleichgeschlechtlichen Sex als legal erklaerte. Nach Protesten, allen voran von religioesen Gruppierungen, wurde das Urteil des Delhi High Court jedoch vom Supreme Court revidiert und die Entscheidung dem Parlament ueberlassen, welches wiederum gegen die Abschaffung von section 377 stimmte.
Erst nach einer Reform des Rechts auf Privatsphaere kam es verstaerkt zu neuen Forderungen, Homosexualitaet zu legalisieren, da die eigene sexuelle Orientierung eine private Angelegenheit sei. Basierend auf dem Argument, dass section 377 Indiens LBTQA+ community ihr von der Verfassung garantiertes Recht auf Privatsphaere verweigerte, erklaerte der Supreme Court nach einem einjaehrigen Prozess homosexuellen Geschlechtsverkehr  zum ersten Mal nach 150 Jahren endgueltig fuer legal und entschuldigte sich oeffentlich fuer die Diskriminierung des vergangenen Jahrhunderts.
Das Urteil vom 6. September stiess eine Welle an sozialen Entwicklungen an, die in Zukunft nicht mehr aufzuhalten sein werden und viele Fundamente der Indischen Gesellschaft in Frage stellen, allen voran die strikte Geschlechtertrennung, die auf vielen gesellschaftlichen Ebenen stattfindet. Nur wenige Tage nach dem Urteil eroeffnete in Mumbai das erste gender neutrale Hostel fuer Studierende. In vielen Staedten feierte die LBTQA+ community ausgelassen auf dem Strassen. In Zukunft wird es Institutionen wie Hostels und Hotels, Universitaeten, Aemtern und selbst dem Oeffentlichen Nahverkehr ueberlassen sein ihre Systeme strikter Geschlechtertrennung zu ueberdenken und eventuell zu reformieren. Viele Aktivisten argumentieren ausserdem, dass es nun Zeit fuer die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe sei.
Es ist hierbei zu bedenken, dass Indien seit Jahrhunderten eine Tradition von Transgenders hat, die urspruenglich den mittelalterlichen Herrschern diente. Diese soziale Gruppierung existiert bis heute in allen indischen grossen Staedten und wird von den meisten akzeptiert, wenn auch gesellschaftlich an den Rand gedraengt. Selbst ueber tausend Jahre alte Schriften wie das Epos Mahabharata erzaehlen Geschichten von Homosexualitaet und Geschlechtsumwandlungen, allen voran Arjuna's Zeit als Eunuch und Tanzlehrer der Prinzessin Uttaraa. Manche argumentierten daher, dass die Kriminalisierung von Homosexualitaet allein von der Britischen Kolonialherrschaft  eingefuehrt worden sei, aber in Indien historisch gesehen keine Basis habe.
Es gibt jedoch noch in der Indischen Gesellschaft relativ viele Gegenstimmen, die das Urteil als unmoralisch bezeichnen und vor allem in den sozialen Medien hasserfuellte Kommentare verbreiten. Wie viel Macht diese in Zukunft haben werden, ist jedoch fraglich. Die Legalisierung von Homosexualitaet  hat eine Entwicklung angestossen, die das Potenzial hat, in den kommenden Jahren fundamentale Veraenderungen herbeizufuehren.

Montag, 10. September 2018

Update

Der Prozess im Fall Asifa Bano ist noch immer am Laufen, jedoch nicht für die Öffentlichkeit einsehbar. Zu einem  Urteil kam es noch nicht. Der Hintergrund dieses Blogs bleibt daher bis auf Weiteres die Kerze.

Dienstag, 26. Juni 2018

God Market

Vor etwas mehr als einem Monat wurde Asaram Bapu zu einer lebenslaenglichen Gefaengnisstrafe verurteilt; der Vorwurf: Vergewaltigung zweier Minderjaehriger. Asaram hatte sich in den letzten vierzig Jahren als so genannter God-man etabliert und unterhielt zahlreiche Ashrams sowohl in Indien als auch ausserhalb. Seinen Anhaengern gilt er bis heute als heilig, so auch dem Vater seiner beiden Opfer, der seine Toechter gezielt in die Ashram-Schule schickte. Laut den indischen Medien sind die beiden Maedchen bei weitem nicht die einzigen Opfer sexueller Belaestigung durch den Bapu: Immer wieder gingen bei der Polizei Anzeigen von Anhaengerinnen des Gurus ein, die ihm vorwarfen, sie vergewaltigt zu haben. Eine dieser Anzeigen enthielt die Beschreibung eines abendlichen Rituals, in dem Asaram mit einem Laserpointer in einem Kreis junger Frauen sass und schliesslich die huebscheste zweimal anblinkte. Die so auserwaehlte leistete ihm dann in einem privaten "Befreiungsritual" in seinen Gemaechern Gesellschaft. Keine dieser frueheren Anzeigen bestand lange genug, um ein Gerichtsurteil herbeizufuehren, hauptsaechlich da entweder wichtige Zeugen tot aufgefunden wurden oder die Klaeger ihre Klage ueberraschend zurueckzogen. Auch die Familie der beiden Maedchen hat bis heute mit konstanten Bedrohungen fuer Leib und Leben zu kaempfen.

Asaram ist kein Einzelfall. Das Geschaeft mit der Religion, das beileibe nicht auf den Hinduismus beschraenkt ist, ist in Indien millionenschwer. Es reicht vom Verkauf ayurvedischer Zahnpasta zu der Einrichtung zahlreicher, teils von der Regierung subventionierter, Ashrams bis hin zu Actionfilmen mit den Gurus als Helden. Das Versprechen: Spiritualitaet, einfach und schnell erhaeltlich gegen ein wenig Bares. Wie viel dies noch mit der urspruenglichen Religion zu tun hat, ist aeusserst fraglich.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist das von Gurmeet Ram Rahim Singh Insan, der 2017 zu zwanzig Jahren Haft wegen Vergewaltigung verurteilt wurde und vorher vermehrt unter Verdacht wegen Mordes und Zwangskastration stand. Gurmeet Ram Rahim etablierte seine soziale und spirituelle Bewegung Dera Sacha Sauda hauptsaechlich im Norden Indiens und zaehlt inzwischen ueber 60 Millionen Menschen zu seinen Anhaengern. Er ist Regisseur und Hauptdarsteller mehrerer Actionfilme in denen er als "Messenger of God" Unholde verpruegelt. (Wer etwas Unterhaltung sucht, findet den Trailer auf youtube, ich werde ihn jedoch hier nicht verlinken). Gleichzeitig hat er ein Faible fuer schnelle Autos, auffaellige Goldjuwelen und coole Sonnenbrillen, die jeglicher Spiritualitaet vollends zu wiedersprechen scheinen. Sein Einfluss auf die indische Gesellschaft ist kontrovers: Waehrend er eine Mafia unterhaelt, die jegliche Kritik an ihm kaltstellt und Wahlempfehlungen fuer den hoechsten Bieter ausspricht, hat seine Organisation Dera Sacha Sauda Millionen armen Bauern zu einem hoeheren Lebensstandard verholfen.

Weniger exzentrisch als Gurmeet Ram Rahim Singh, jedoch ebenfalls kontrovers, ist Baba Ramdev, der mit der ayurvdischen Marke Patanjali Inhaber ins boomenden Grosskonzerns ist. Patanjali startete als Hersteller ayurvdischer Medizinprodukte und hat sich inzwischen auf die Beauty- und Kosmetikbranche ausgedehnt. Je laenger die Marke besteht, desto mehr stellt sie her. Vor einigen Wochen stellte Patanjali seine eigene Messaging App vor, die nach drei Tagen wegen schwerwiegender Sicherheitsbedenken bezueglich der Nutzerdaten vom Markt genommen wurde. Auch Patanjalis Zahnpasta, Shampoo und Kraeutermischungen zum Einnehmen stehen haeufig in der Kritik, schaedliche Inhaltsstoffe in hoher Dosis zu enthalten. Den Markterfolg Baba Ramdevs scheint jedoch selbst der nachgewiesene Inhaltsstoff Kuh-Urin nicht zu trueben. Werbespots fuer Patanjali  tauchen regelmaessig auf meiner Youtube Empfehlungsliste auf und enthalten meist ein huebsches traditionell gekleidetes Maedchen vom Typ Sanskari, welches sich das Gesicht genuesslich mit Creme einschmiert und dem Zuschauer auf Hindi den Wert und die Vorteile hinduistischer Traditionen nahebringt.

In einer politischen Phase, in der selbst Premier Modi Yoga-Instruktionen unter seinem Namen veroeffentlicht, bekommt Indiens God Market starken Aufwind. Indien in der Vision vieler Hindunationalisten sollte ein Land sein, das international fuer seine hinduistischen Traditionen geschaetzt wird. Um dies zu erreichen, unterstuetzt die aktuelle Regierung Gurus ungeachtet iherer moeglichen kriminellen Hintergruende. Natuerlich sollte nicht jeder Gruender eines Ashrams als Verbrecher stigmatisiert werden, jedoch ist bei der Wahl einer spirituellen Organisation, sowohl als Auslaender als auch als Inder, Vorsicht geboten, nicht an eines der schwarzen Schafe zu geraten.


Sonntag, 15. April 2018

Asifa Bano



… wurde am 10. Januar dieses Jahres im Bundesstaat Jammu & Kaschmir von Hindunationalisten entführt und in einem Hindutempel festgehalten. Ihre Peiniger, darunter Angehörige von Narendra Modi’s Partei BJP, vergewaltigten und folterten sie mehrfach, bis sie am 17. Januar schließlich stranguliert und im Wald verscharrt wurde. Während dieser Ereignisse stand sie unter Einfluss von starken Beruhigungsmitteln, die ihr zwangsweise verabreicht wurden. Asifa war acht Jahre alt.
Das Mädchen gehörte dem muslimischen Volksstamm der Gujjar Nomaden an, die sich während der Wintermonate ins tiefer gelegene Jammu begeben um Grasland für ihre Pferde zu finden. Dies geschieht meist mit Einverständnis der lokalen Bauern, jedoch kam es in den letzten Jahren immer wieder zu Spannungen. Hinzu kommt, dass die Gujjar im hinduistisch dominierten Jammu eine religiöse Minderheit bilden.

Der Fall erregte unmittelbar nachdem er sich ereignet hatte nicht viel Aufsehen, gelangte aber drei Monate später an die Öffentlichkeit, als die BJP offen Proteste zur Unterstützung der Vergewaltiger abhielt. Während der gesamten polizeilichen Untersuchung kam es zu Behinderungen durch Hindunationalisten, die sich auf die Seite der Angeklagten stellten. Zunächst war es Asifa’s Vater nicht möglich, seine Tochter vermisst zu melden, da der örtliche Polizeibeamte ihm eröffnete, Asifa sei wahrscheinlich mit einem Verehrer weggerannt und es sei keine Untersuchung nötig. Zu diesem Zeitpunkt war einer der Polizisten unter den Vergewaltigern und zwei weitere hatten Bestechungsgelder erhalten um die Tat zu vertuschen. Später versuchten hindunationalistische Anwälte in einer Demonstration zu verhindern, dass der Fall das Landesgericht von Jammu & Kaschmir erreichte. Zeitgleich begaben sich hundert Frauen in Hungerstreik zur Unterstützung der Vergewaltiger.

Als diese Details bekannt wurden, kam es in ganz Indien zu Demonstrationen. Während die Mehrheit für Asifa und ihren Volkstamm kämpft, gibt es auffallend viele Gegenproteste.  Das Hauptargument der Hindunationalisten ist, dass der Fall nur deshalb Prominenz erhält, weil das Opfer muslimischen Glaubens ist. Ein BJP Abgeordneter argumentierte, dass die Tat nicht von Hindus begangen worden sein könne, da sie in Kaschmir passiert sei und in Kaschmir ausschließlich Pakistanische Agenten handelten. Premier Modi blieb auffallend lange still. In den sozialen Medien zeichnete sich eine klare Spaltung der indischen Gesellschaft ab. Während viele Solidarität mit Asifa bekundeten, argumentierte die andere Seite, dass der Fall künstlich gehypt werde, um die BJP schlecht darzustellen und dass täglich Hindu Frauen vergewaltigt würden, deren Fall nie an die Öffentlichkeit gelange. Wieder andere verbreiten Verschwörungstheorien, demnach die Muslimische Volksgruppe der Rohingya, die angeblich in der Nähe ein Camp hatten verantwortlich für den Fall waren. Muslime wurden auf Facebook als Volksverräter und Antinationalisten gebrandmarkt und direkt beschimpft.
Man führe sich vor Augen, dass hier mehr Konflikte, als nur die Gewalt gegen Frauen Ausdruck finden:

1.       Asifa war muslimischen Glaubens und wurde von Hindunationalisten gezielt wegen ihrer Religion als Opfer ausgewählt
2.       Asifa war Angehörige eines Nomadenstammes, der sich im Konflikt mit lokalen Bauern befand. Die Täter hofften, durch die Vergewaltigung die Gujjar aus der Gegend zu vertreiben
3.       Die Tat fand in einem Tempel, einem Ort, der als heilig gilt, statt
4.       Die indische Regierungspartei BJP organisierte offene Solidaritätsbekundungen für die Vergewaltiger

Diese Faktoren sind dafür verantwortlich, dass die Situation zum landesweiten Skandal wurde. Der Fall Asifa polarisiert. Menschen, deren politische Ausrichtung bisher nicht bekannt war, ergreifen nun Partei für eine der beiden Seiten. Ich kam gestern in Bangalore an einer Solidaritätsbekundung für Asifa nahe der MG Road vorbei. Ich hoffe, dass die Menschen, die dort Kerzen anzündeten und Plakate hinterließen, etwas bewegen können. Der Hintergrund dieses Blogs zeigt meine persönliche Kerze für Asifa. Sie wird so lange bestehen bleiben, bis die Täter nach indischem Gesetz verurteilt sind und ihre Strafe angetreten haben.



























Freitag, 2. Februar 2018

Padmaavat

… ist der Titel eines Epos des Sufi Dichters Malik Muhammad Jayasi. Es erzählt die Geschichte der Königin Padmavati von Chittoor, die für ihre außergewöhnliche Schönheit über Königreiche hinweg bekannt ist. Als Alauddin Khilji, Sultan von Delhi, Chittoor erobert und von dessen König Ratan Singh Padmavati als Tribut fordert, entbrennt ein Krieg der beiden Herrscher um die schöne Königin. Ratan Singh wird von Alauddin gefangen genommen und nach Delhi verschleppt, während Padmavati die Befreiung ihres Mannes plant. Als Alauddin Khilji Ratan Singh in einer finalen Schlacht besiegt, begehen Padmavati und die Frauen der Krieger Sati um Gefangenschaft und Sklaverei zu entkommen.
Während historische Belege für die Existenz Ratan Singhs und Alauddin Khiljis bestehen, ist Padmavati höchstwahrscheinlich eine rein mythologische Figur. Sie wird erstmals in Jayasis Epos, das 200 Jahre nach der Eroberung Chittoors entstand, erwähnt. In manchen Gegenden Rajasthans gilt die Königin jedoch bis heute als Gottheit und wird als Vorbild für Frauen wahrgenommen.
Der indische Regisseur Sanjay Leela Bhansali adaptierte das Epos in seinem Film Padmaavat, einem der teuersten Filme, die je in Bollywood produziert wurden.
Schon während der Produktion des Films gab es in mehreren Bundesstaaten Indiens Proteste, meist ausgehend von radikal hindunationalistischen Gruppierungen. Der Hauptgrund war die Vermutung, der Film könne eine romantische Szene zwischen der Hindu Königin Padmavati und dem muslimischen Herrscher des Delhi Sultanats enthalten. Hindunationalisten argumentierten, der Film sei historisch inakkurat und stelle die Königin Padmavati als moralisch locker dar. Besonders eine Szene, die einen Tanz der Königin zeigt, wurde heftig kritisiert, da die Hüfte der Darstellerin zu sehen ist.  Weitere Proteste kamen von feministischen Organisationen gegen die Darstellung des Rituals Sati (Witwenverbrennung) zu Ende des Films.
Am 25 Januar dieses Jahres, mehr als einen Monat nach dem geplanten Datum, durfte Padmaavat erstmals in der Öffentlichkeit gezeigt werden. Die Premiere war begleitet von weiteren Protesten in mehreren Staaten. Die Kontroverse um den Film spiegelt eine generelle Stimmung in Indien wieder, die sich seit Monaten immer stärker in der Öffentlichkeit zeigt. Es ist eine Spannung zwischen erstarkenden hindunationalistischen Gruppierungen und sozialen Minderheiten sowie Liberalen. Obwohl Padmaavat keine romantische Szene zwischen Alauddin Khilji und Padmavati enthält, war allein das Gerücht ausreichend für gewaltsame Proteste. 

Ich sah Padmaavat vor ein paar Tagen in einem Kino in Bangalore. Mir scheint es, Alauddin Khiljis Darstellung als machtgierig und skrupellos entgegen historischer Belege hätte die Basis für Proteste von der muslimischen Seite bieten können. Diese bleiben jedoch weitgehend aus.