…ist das tamilische Wort für Familie. Während meiner
Schulzeit lernte ich einmal, dass die Familie die kleinste Einheit der
Demokratie und eine wichtige Stütze der Gesellschaft ist. Trifft dies auf
Deutschland zu, ist es in Indien um ein hundertfaches stärker der Fall.
Traditionell lebt man in Indien in einer so genannten „joined
family“ unter einem Dach mit Eltern, Tanten, Onkels, Großeltern, unverheirateten
Schwestern und Cousinen, sowie Brüdern und Cousins und deren Ehefrauen. Einzig
Töchter verlassen nach der Hochzeit das Elternhaus um in die Familie ihres
Mannes einzuziehen. In manchen Fällen wird jedoch selbst dies verhindert. Vor
nicht allzu langer Zeit besuchte ich mit meiner Gastschwester eine Hochzeit im
Stadtteil Korattur. Die Braut, eine Schulfreundin meiner Gastschwester,
heiratete ihren Cousin. Als Vorteile einer solchen Ehe sind zu nennen, dass der
Bräutigam gut bekannt ist, das Mädchen seine Familie nicht verlassen muss und weniger
oder keine Mitgift erwartet wird. Der Nachteil ist klar – Inzest mit all seinen
gesundheitlichen Folgen.
Ich muss mich an dieser Stelle korrigieren. Habe ich im
ersten Absatz dieses Beitrags die indische Familie als demokratische Einheit
bezeichnet, fällt mir nun auf, dass dies mehr als fraglich ist. Einer meiner
Kollegen war indischer Nationalsportler mit einem Platz im Leichtathletik Team
und Chancen auf Olympia. Er erinnert sich wehmütig an seine Wettkämpfe vor
Zehntausenden von Zuschauern, bevor seine Familie dem Traum vom Sport ein Ende
bereitete und ihn stattdessen Sozialarbeit studieren ließ. Es ist eine
Geschichte von vielen. Kaum ein Kollege aus meinem Projekt macht den Job, den
er einst machen wollte. Ohne die endgültigen Entscheidungen der jeweiligen
Eltern säße ich zusammen mit einer Gruppe aus Fotografen, Journalisten, Piloten
und wie gesagt einem erfolgreichen Athleten. Demokratie ist anders.
(Es ist hier einmal an der Zeit meine eigene Familie zu
loben, die mich auf äußerst demokratische Weise unterstützt und der ich sehr
sehr dankbar für so vieles bin)
Auf der anderen Seite jedoch steht der Halt, den eine
indische Familie bietet. Sie ist Lebensinhalt, Retter in der Not, Identität, zu
Hause, Freundschaft und Sozialversicherung zugleich, kurz: Sie umfasst jeden
Lebensbereich ihrer Mitglieder. Selbst die entferntesten Verwandten werden
mindestens jede Woche angerufen, die näheren sogar täglich, um jedes kleinste
Detail des Tages auszutauschen. (Beispielsweise was die deutsche Freiwillige
heute schon wieder alles angestellt hat.)Die Familie wird nie langweilig, sie
ist eine Sammlung an Charakteren mit ihren ganz eigenen Gesetzen und damit wohl
nicht nur kleinste Einheit der Gesellschaft, sondern im Inneren wahrhaftig ein
eigener Staat.