…ist eine Göttin, die die
indische Nation verkörpert. Ihr Name bedeutet übersetzt „Mutter Indien“. Sie ist eine energische Dame, inspiriert von
Göttin Durga. Man findet sie meist im safran-farbenen Sari, die indische Flagge
in der rechten Hand haltend und in Begleitung eines Löwen. Ihr hinduistisches
Vorbild führt bis heute zu heiklen Debatten über Hindu Vorherrschaft und
Säkularismus und macht sie damit zu einem umstrittenen Symbol für indisches Nationalgefühl.
Was man unter letzterem
zu verstehen hat, wird regelmäßig (wenn auch zuweilen unfreiwillig) von meinen
Mitstudenten und Professoren verdeutlicht. Während der Vorlesungen fällt
erstaunlich oft die Bezeichnung „our nation“ für Indien mit dem Zusatz wie
stolz man auf diese sei. Bedeutende Führungsfiguren des indischen
Unabhängigkeitskampfes erscheinen in Präsentationen mit Ehrentitel statt mit
Namen und werden von den jeweiligen Referenten gegen jeden Zweifel verteidigt.
Kritik an Indien gleicht einer handfesten Beleidigung.
Auf die Frage hin, worauf
man denn besonders stolz sei, kommt oft die Antwort: „auf unsere
multikulturelle Gesellschaft“, gefolgt von einem Lob für das Militär an zweiter
Stelle. Dieses Meinungsbild wird repräsentiert von der indischen Tageszeitung
„The Hindu“. Während der „chirurgischen Schläge“ gegen Pakistan nach der
Attacke auf die Stadt Uri im indischen Teil Kaschmirs, wurden gefallene
indische Soldaten als Helden gefeiert. Eines Tages stieß ich im „Hindu“ auf die
Anzeige einer Bank, gespickt mit Bildern indischer Panzer, Kampfjets und
Maschinengewehre, die „chirurgische Schläge gegen finanzielle Sorgen“
versprach.
Des Weiteren manifestiert
sich indischer Nationalismus in traditionellen Festen sowie im Gespräch über
die hinduistischen Epen Mahabharata und Ramayana. Mir als Ausländer werden
ebenjene Geschichten gerne mit Stolz erzählt, unter Hervorhebung ihrer 2000
Jahre alten Tradition und unabhängig davon ob sie mir bereits im Detail bekannt
sind oder nicht. Während hinduistischer Feiertage wird eine Menge Wert darauf
gelegt, sie zu begehen, mit der Begründung die eigene Kultur wert zu schätzen,
auch wenn viele dieser Feste, zumindest in der sozialen Schicht, die mit mir
studiert, in den letzten Jahrzehnten den kapitalistischen Touch einer
Konsumgesellschaft erhalten haben wie es mir scheint. Zuweilen gehört der Kauf
teurer Markenklamotten vor selbst weniger wichtigen Feiertagen ebenfalls zu
einer Form des kulturellen Nationalismus (dies gilt jedoch nicht für jede
gesellschaftliche Schicht Südindiens).
Indisches Nationalgefühl
als Konzept stammt aus den Anfängen des indischen Nationalkongress, der
versuchte, die unter Britischer Herrschaft stehenden Fürstentümer für den
gemeinsamen Kampf gegen den Kolonialismus zu gewinnen. Zur selben Zeit begann
die Popularität von Bharat Mata, sowie der Kuh als Mutterfigur der Nation. Eine
Professorin für indische Geschichte verdeutlichte einmal, dass beide als
nationalistische Propaganda perfekt seien: sie verkörpern sowohl das Bild einer
lokalen Gottheit, als auch das Konzept von mütterlichem Schutz, beides vor
allem im ländlichen Indien sehr familiäre Gedanken.
Ich würde zu Ende dieses
Artikels die Aufmerksamkeit gerne auf den Ausdruck „Bharat“ legen, der die
erste Hälfte des Namens Bharat Matas bildet. Der Ausdruck entstammt den
Puranas, Jahrtausende alten Sanskrit Schriften, die Indien nach dem Monarchen
Bharata als Bharatavarsha (Land Bharatas) bezeichnen. Man bemerke hierbei den
hinduistischen Ursprung des Wortes. Es wird demnach gerne von
hindu-nationalistischen Gruppierungen zur Propaganda genutzt. Hier wird ein Problem
deutlich, das mit indischem Nationalstolz Hand in Hand geht: Sollte Indien eine
reine Hindu-nation sein oder feiert man „unity in diversity?“ Wer ist Inder,
wer nicht? Was ist indisch, was nicht? Es ist eine Frage, die gerne debattiert,
aber nie klar beantwortet wird. Ganz einfach weil es keine Antwort gibt.
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