Alles, was wir sind, ist das Ergebnis dessen, was wir dachten
Buddha

Donnerstag, 9. Februar 2017

Bharat Mata

…ist eine Göttin, die die indische Nation verkörpert. Ihr Name bedeutet übersetzt „Mutter Indien“.  Sie ist eine energische Dame, inspiriert von Göttin Durga. Man findet sie meist im safran-farbenen Sari, die indische Flagge in der rechten Hand haltend und in Begleitung eines Löwen. Ihr hinduistisches Vorbild führt bis heute zu heiklen Debatten über Hindu Vorherrschaft und Säkularismus und macht sie damit zu einem umstrittenen Symbol für indisches Nationalgefühl.
Was man unter letzterem zu verstehen hat, wird regelmäßig (wenn auch zuweilen unfreiwillig) von meinen Mitstudenten und Professoren verdeutlicht. Während der Vorlesungen fällt erstaunlich oft die Bezeichnung „our nation“ für Indien mit dem Zusatz wie stolz man auf diese sei. Bedeutende Führungsfiguren des indischen Unabhängigkeitskampfes erscheinen in Präsentationen mit Ehrentitel statt mit Namen und werden von den jeweiligen Referenten gegen jeden Zweifel verteidigt. Kritik an Indien gleicht einer handfesten Beleidigung.
Auf die Frage hin, worauf man denn besonders stolz sei, kommt oft die Antwort: „auf unsere multikulturelle Gesellschaft“, gefolgt von einem Lob für das Militär an zweiter Stelle. Dieses Meinungsbild wird repräsentiert von der indischen Tageszeitung „The Hindu“. Während der „chirurgischen Schläge“ gegen Pakistan nach der Attacke auf die Stadt Uri im indischen Teil Kaschmirs, wurden gefallene indische Soldaten als Helden gefeiert. Eines Tages stieß ich im „Hindu“ auf die Anzeige einer Bank, gespickt mit Bildern indischer Panzer, Kampfjets und Maschinengewehre, die „chirurgische Schläge gegen finanzielle Sorgen“ versprach.
Des Weiteren manifestiert sich indischer Nationalismus in traditionellen Festen sowie im Gespräch über die hinduistischen Epen Mahabharata und Ramayana. Mir als Ausländer werden ebenjene Geschichten gerne mit Stolz erzählt, unter Hervorhebung ihrer 2000 Jahre alten Tradition und unabhängig davon ob sie mir bereits im Detail bekannt sind oder nicht. Während hinduistischer Feiertage wird eine Menge Wert darauf gelegt, sie zu begehen, mit der Begründung die eigene Kultur wert zu schätzen, auch wenn viele dieser Feste, zumindest in der sozialen Schicht, die mit mir studiert, in den letzten Jahrzehnten den kapitalistischen Touch einer Konsumgesellschaft erhalten haben wie es mir scheint. Zuweilen gehört der Kauf teurer Markenklamotten vor selbst weniger wichtigen Feiertagen ebenfalls zu einer Form des kulturellen Nationalismus (dies gilt jedoch nicht für jede gesellschaftliche Schicht Südindiens).
Indisches Nationalgefühl als Konzept stammt aus den Anfängen des indischen Nationalkongress, der versuchte, die unter Britischer Herrschaft stehenden Fürstentümer für den gemeinsamen Kampf gegen den Kolonialismus zu gewinnen. Zur selben Zeit begann die Popularität von Bharat Mata, sowie der Kuh als Mutterfigur der Nation. Eine Professorin für indische Geschichte verdeutlichte einmal, dass beide als nationalistische Propaganda perfekt seien: sie verkörpern sowohl das Bild einer lokalen Gottheit, als auch das Konzept von mütterlichem Schutz, beides vor allem im ländlichen Indien sehr familiäre Gedanken.

Ich würde zu Ende dieses Artikels die Aufmerksamkeit gerne auf den Ausdruck „Bharat“ legen, der die erste Hälfte des Namens Bharat Matas bildet. Der Ausdruck entstammt den Puranas, Jahrtausende alten Sanskrit Schriften, die Indien nach dem Monarchen Bharata als Bharatavarsha (Land Bharatas) bezeichnen. Man bemerke hierbei den hinduistischen Ursprung des Wortes. Es wird demnach gerne von hindu-nationalistischen Gruppierungen zur Propaganda genutzt. Hier wird ein Problem deutlich, das mit indischem Nationalstolz Hand in Hand geht: Sollte Indien eine reine Hindu-nation sein oder feiert man „unity in diversity?“ Wer ist Inder, wer nicht? Was ist indisch, was nicht? Es ist eine Frage, die gerne debattiert, aber nie klar beantwortet wird. Ganz einfach weil es keine Antwort gibt. 

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