Alles, was wir sind, ist das Ergebnis dessen, was wir dachten
Buddha

Montag, 9. Mai 2016

Ratham

…ist das tamilische Wort für Blut. Ich möchte diesen Beitrag mit einer kurzen Geschichte eröffnen. Vor ein paar Monaten bereitete sich mein Gastvater auf eine Pilgerfahrt nach Kerala vor, das Ziel ein Tempel, zu dem nur Männer Zutritt haben. In den elf Tagen vor Aufbruch mussten im Haus besondere Regeln der Reinheit eingehalten werden. An einem Sonntagabend während dieser Zeit kehrte ich müde und erschöpft von einer Reise zurück. Meine Gastschwester empfing mich an der Tür. „Hast du deine Periode?“, war die erste Frage, die sie mir stellte. Etwas überrascht antwortete ich mit einem wahrheitsgemäßen „Ja“, worauf sie mir eröffnete, dass ich die nächsten drei Tage die Wohnung nicht zu betreten habe. Ich ließ durchblicken, dass mich diese Aussicht, auch in Anbetracht der späten Uhrzeit, nicht sonderlich begeisterte, sodass sich meine Gastschwester schließlich ein Herz fasste und mir gestattete, falls die ersten drei Tage bereits vorüber seien, in meinem Zimmer zu übernachten.

Menstruation ist in Indien eines der sensibelsten Themen, die in der Gesellschaft existieren. Seine volle Tragweite wird mir erst bewusst, nachdem mich mein Projekt gebeten hatte, ein Aufklärungsprogramm darüber zu erstellen. Während selbst meine relativ moderne Familie bereit war, mich ungeachtet aller Sicherheitsrisiken drei Tage lang nicht in die Wohnung zu lassen, sieht die Situation auf dem Land noch einmal anders aus. Manche Dörfer besitzen spezielle Hütten außerhalb der Grenzen, in die sich menstruierende Frauen während ihrer Periode zurückziehen, oft alleine und ohne Küche oder Toilette. Sie verlassen sich auf die übrigen Frauen der Familie, um etwas zu essen zu bekommen. Selbst in modernen Familien in der Stadt dürfen Tempel, Küche oder Gebetsraum nicht betreten werden. Während der Pongal Feierlichkeiten konnten zwei meiner Gastschwestern nicht am Gebet teilnehmen, weil sie ihre Periode hatten.

Dazu kommt die geringe Verfügbarkeit von Hygieneartikeln auf dem Land. Damenbinden sind verhältnismäßig teuer und für viele Dorfbewohner unerschwinglich. Man behilft sich mit Papier, Blättern und Sand. Die Bildung vieler Mädchen endet mit Einsetzen ihrer Periode, da die Schule während dieser Zeit nicht besucht werden kann. Die verpassten Unterrichtsinhalte aufzuholen, ist für viele nicht möglich.

Vor nicht allzu langer Zeit, besuchten wir eine Familie, deren dreizehnjährige Tochter uns stolz die Bilder ihrer Puberty Function zeigte. Es handelt sich um ein traditionelles Fest in Tamil Nadu, das die erste Periode eines Mädchens feiert. Bevor die indische Regierung Hochzeiten unter achtzehn für illegal erklärte, gab man damit bekannt, dass eine Tochter nun im heiratsfähigen Alter sei. Während des Festes erscheint das Mädchen in den Kostümen verschiedener Götter, sowie in ein paar zusätzlicher seiner Wahl. Japanische Geishas und viktorianische Prinzessinnen sind nicht unüblich. Während besagte Feier auf dem Land selbstverständlich durchgeführt wird, ist sie in den Internetforen der Städter umstritten.

„What should I tell them? Welcome to celebrate the stain on my undergarment?“ twitterte eine Inderin sarkastisch. 

In besagten Foren starteten indische Feministinnen vor ein paar Monaten eine Kampagne, die es bis auf die Straßen Mumbais, Delhis und Bangalores schaffte. Unter dem Hashtag „We bleed. Let´s face it.“ demonstrierten Frauen gegen alte Traditionen und für einen offenen Umgang mit dem Thema. Recht haben sie.

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