Alles, was wir sind, ist das Ergebnis dessen, was wir dachten
Buddha

Dienstag, 17. Mai 2016

Kaadal

…ist das Tamilische Wort für Liebe. Mein Jahr in Chennai neigt sich dem Ende zu und wird in ein paar Wochen nahtlos in ein Studium von Politikwissenschaft, Englisch und Geschichte an der Christ University in Bangalore übergehen. Selbstverständlich wird dieser Blog auch in der neuen Umgebung weitergeführt. Dennoch: Es ist Zeit für eine Liebeserklärung.
Wie bei jeder echten Liebeserklärung weiß ich nicht, wie ich sie beginnen soll. Es gab eine Zeit, als all meine Mitfreiwilligen aus Sriperumbudur in ihre Heimatländer zurückgekehrt waren und ich an den Wochenenden plötzlich alleine war. Während dieser Zeit lernte ich eine Stadt lieben, die alles, was ich je zuvor für andere Orte der Welt empfunden hatte, wie reine Kindergartenschwärmerei erscheinen ließ. Ich kannte Chennai seit Beginn, doch erst als ich es Wochenende für Wochenende zu Fuß (die denkbar schlechteste und doch interessanteste Art) erkundete, funkte es zwischen uns. Verliebte ich mich. Begann ein Gefühl untrennbarer Zusammengehörigkeit. Wurde mir klar, wie viel ich für die Stadt empfand.  Hach, Liebe ist kompliziert.
Chennai ist bei den meisten Indern, wie auch Freiwilligen verhasst und das mit gutem Grund. Verglichen mit dem modernen und hippen Bangalore erscheint die Stadt, in Phänotyp, wie in Mentalität,  wie ein übergroßes Dorf. Chennai ist heiß, staubig, konservativ, hart und stinkend, oder, wie einer meiner indischen Freunde es gerne ausdrückt, „in your face.“ In Chennai herrscht Alkoholverbot, wer versucht, sich mit einem Inder im falschen Hotel ein Zimmer zu nehmen, wird wegen Prostitution auf die Polizeiwache gebracht und wer erwartet, dass ein Autorickshawfahrer das Taxameter einschaltet, sollte seinen Sinn für Realität überprüfen.
Zur gleichen Zeit ist Chennai wunderschön, es repräsentiert alle Schichten der indischen Bevölkerung, es ist beeinflusst von Dubai, den USA, Singapur, England und Mumbai zugleich, es ist geprägt von tamilischem Stolz, und es herrscht eine Atmosphäre, die selbst seine härtesten Kritiker als familiär bezeichnen. Chennai ist sympathisch, es ist Familie, Zuhause. Chennai befindet sich in einer Umbruchsphase, in der noch nicht entschieden ist, wohin die Reise geht. Alles scheint möglich.
Chennai hat den St Thomas Mount, der einen grandiosen Blick über die Start- und Landebahnen des internationalen Flughafens bietet; Chennai hat Besant Nagar, das zur Zeit des Unabhängigkeitskampfes Persönlichkeiten wie Annie Besant und Rukmini Devi ein Zuhause bot und noch heute den Garten der Theosophischen Gesellschaft, sowie die Kalakshetra Foundation für traditionellen Tanz beherbergt. In Chennai findet man das alte Bazaarviertel Georgetown, in dem  von Weihnachtskarten bis zu Glycerin alles zu haben ist und ein paar Kilometer weiter die Phoenix Market City, in der die Oberschicht Klamotten von Chanel shoppt. Das im Stadtteil Royapettah befindliche Sathyam Theatre behandelt reiche Jugendliche, die sich mit ihren 300 Rupien Karten auf die guten Plätze setzen genauso, wie Straßenkinder mit einer 10 Rupien Karte für den Rand der ersten Reihe. Es gibt nichts Besseres als im zäh fließenden Verkehr am Abend aus dem Fenster eines Busses von Koyambedu nach Adyar zu schauen und einen Blick auf den erleuchteten Gandhi Mandapam, den Campus der Anna University, die Schaufenster der Läden, die die Straße säumen und die verschiedenen Verkehrsteilnehmer selbst zu werfen.

Meine Liste, warum ich Chennai liebe ist endlos. Ich werde Indien nicht verlassen, doch der Abschied von Tamil Nadu fällt mir schwer. Ich werde regelmäßig von verschiedenen Indern ausgelacht, wenn ich sage, dass ich mir in Karnataka wie ein Tamile vorkomme. Der Staat und Chennai insbesondere, bieten mir ein Gefühl von zu Hause, wie ich es anfangs nicht für möglich gehalten hätte. Mir bleibt nur eins zu sagen: Chennai, naan unnai kaadalikkiren. Rompa rompa nandri. Ich liebe dich. Danke für alles. 

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