Alles, was wir sind, ist das Ergebnis dessen, was wir dachten
Buddha

Dienstag, 22. März 2016

Kudumbam


…ist das tamilische Wort für Familie. Während meiner Schulzeit lernte ich einmal, dass die Familie die kleinste Einheit der Demokratie und eine wichtige Stütze der Gesellschaft ist. Trifft dies auf Deutschland zu, ist es in Indien um ein hundertfaches stärker der Fall.

Traditionell lebt man in Indien in einer so genannten „joined family“ unter einem Dach mit Eltern, Tanten, Onkels, Großeltern, unverheirateten Schwestern und Cousinen, sowie Brüdern und Cousins und deren Ehefrauen. Einzig Töchter verlassen nach der Hochzeit das Elternhaus um in die Familie ihres Mannes einzuziehen. In manchen Fällen wird jedoch selbst dies verhindert. Vor nicht allzu langer Zeit besuchte ich mit meiner Gastschwester eine Hochzeit im Stadtteil Korattur. Die Braut, eine Schulfreundin meiner Gastschwester, heiratete ihren Cousin. Als Vorteile einer solchen Ehe sind zu nennen, dass der Bräutigam gut bekannt ist, das Mädchen seine Familie nicht verlassen muss und weniger oder keine Mitgift erwartet wird. Der Nachteil ist klar – Inzest mit all seinen gesundheitlichen Folgen.

Ich muss mich an dieser Stelle korrigieren. Habe ich im ersten Absatz dieses Beitrags die indische Familie als demokratische Einheit bezeichnet, fällt mir nun auf, dass dies mehr als fraglich ist. Einer meiner Kollegen war indischer Nationalsportler mit einem Platz im Leichtathletik Team und Chancen auf Olympia. Er erinnert sich wehmütig an seine Wettkämpfe vor Zehntausenden von Zuschauern, bevor seine Familie dem Traum vom Sport ein Ende bereitete und ihn stattdessen Sozialarbeit studieren ließ. Es ist eine Geschichte von vielen. Kaum ein Kollege aus meinem Projekt macht den Job, den er einst machen wollte. Ohne die endgültigen Entscheidungen der jeweiligen Eltern säße ich zusammen mit einer Gruppe aus Fotografen, Journalisten, Piloten und wie gesagt einem erfolgreichen Athleten. Demokratie ist anders.

(Es ist hier einmal an der Zeit meine eigene Familie zu loben, die mich auf äußerst demokratische Weise unterstützt und der ich sehr sehr dankbar für so vieles bin)

Auf der anderen Seite jedoch steht der Halt, den eine indische Familie bietet. Sie ist Lebensinhalt, Retter in der Not, Identität, zu Hause, Freundschaft und Sozialversicherung zugleich, kurz: Sie umfasst jeden Lebensbereich ihrer Mitglieder. Selbst die entferntesten Verwandten werden mindestens jede Woche angerufen, die näheren sogar täglich, um jedes kleinste Detail des Tages auszutauschen. (Beispielsweise was die deutsche Freiwillige heute schon wieder alles angestellt hat.)Die Familie wird nie langweilig, sie ist eine Sammlung an Charakteren mit ihren ganz eigenen Gesetzen und damit wohl nicht nur kleinste Einheit der Gesellschaft, sondern im Inneren wahrhaftig ein eigener Staat.

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